Schriftliche Anfrage Nr. SchA VIII/1443 vom 25.03.2021 des Bezirksverordneten Herrn Alexander Bertram der Fraktion der AfD

1. An welchen Daten fanden die Veranstaltungen zur Entwicklung der Leitlinien statt?
2. Wie hoch waren die Kosten für die Erarbeitung der Leitlinien?
3. Gab es ein Ausschreibungsverfahren zur Vergabe der Erarbeitung der Leitlinien, und, wenn ja, wie viele Bewerbungen auf das Projekt lagen vor?
4. Welche bezirklichen Vereinigungen und Verbände haben sich an der Erarbeitung der
Leitlinien beteiligt?
5. Wie und wann wurden diese Akteure eingeladen?
6. Welche bezirklichen Vereinigungen und Verbände haben an den jeweiligen Prognoseraumworkshops teilgenommen? (Bitte aufschlüsseln)
7. Was versteht das Bezirksamt unter einer „verbindlichen Hilfestellung im Rahmen eines informellen, also gesetzlich nicht geregelten, „Beteiligungsprozesses“?
8. Inwiefern wurden und werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bezirksamtes im Umgang mit gesetzlich nicht geregelten Beteiligungsprozessen geschult?
9. Was waren die Ergebnisse der in den Leitlinien erwähnten Evaluation der bisherigen Erfahrungen und Grundlagen von Beteiligung im Bezirk Treptow-Köpenick?
10. Inwiefern haben die Bürger von Treptow-Köpenick das Recht, auf die Einhaltung der in den Leitlinien formulierten Beteiligungsprozesse bei der Umsetzung bezirklicher Vorhaben zu bestehen?
11. Was versteht das Bezirksamt unter dem in den Leitlinien verwendeten Begriff „Stadtgesellschaft“?
12. Warum muss in den Leitlinien gesondert erwähnt werden, dass „Ehrlichkeit gewährleistet“ und „Zusagen eingehalten“ werden müssen?
13. Was versteht das Bezirksamt unter „aufsuchender Beteiligung“?
14. In den Leitlinien ist davon die Rede, dass für Menschen aus anderen Kulturkreisen andere Methoden der Information, Moderation und Diskussion notwendig sind. Ist es nicht grundsätzlich diskriminierend, davon auszugehen, dass Personen, welche ursprünglich aus einem anderen Kulturkreis kommen, nicht in der Lage sind den gleichen Kommunikationswegen zu folgen, wie Menschen aus dem deutschem Kulturkreis?
15. Hat das Bezirksamt bestimmte Kulturkreise definiert, welche eine besondere Form der Ansprache benötigen?
16. Die Leitlinien setzen voraus, dass der gesamte Beteiligungsprozess barrierefrei im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention zu erfolgen hat. War der Prozess zur Erstellung der Leitlinien auch bereits barrierefrei nach der oben genannten Definition?
17. Inwiefern war der Beauftragte für Menschen mit Behinderung an der Erstellung der Leitlinien beteiligt?
18. Inwiefern war der bezirkliche Beirat für Menschen mit Behinderung an der Erstellung der Leitlinien beteiligt?
19. Private Bauvorhaben unterliegen nicht den bezirklichen Leitlinien. Was versteht das Bezirksamt unter der „Motivation privater Bauherren, die Leitlinien trotzdem anzuwenden“ und wie soll festgestellt werden, dass eine größere Zahl von Dritten nicht unwesentliche Auswirkungen durch das Projekt zu tragen hat?
20. Was versteht das Bezirksamt unter „nicht unwesentliche Auswirkungen“?
21. Was versteht das Bezirksamt unter „größere Zahl von Dritten“?
22. Was versteht das Bezirksamt unter „Projekten mit hohem Symbolcharakter“?

Hierzu antwortet das Bezirksamt Treptow-Köpenick:

Zu 1.:
Alle Protokolle der Veranstaltungen sind auf der Homepage der Sozialraumorientierten Planungskoordination (SPK) (https://www.berlin.de/ba-treptow-koepenick/politik-und-verwaltung/service-und-organisationseinheiten/sozialraumorientierte-planungskoordination/buergerinnenbeteiligung/artikel.943980.php) verfügbar. Auf den angeführten Links sind auch die begleitenden, digitalen Veranstaltungen auf mein.berlin.de. zu finden. Die Veranstaltungen sind nach Daten sortiert; die Protokolle sind dort ebenfalls einsehbar.
Zu 2.:
Es stand ein Budget von 25.000 Euro zur Verfügung, um die Workshopreihe durchzuführen und daraus Leitlinien zu erarbeiten.
Zu 3.:
Bei der obengenannten Höhe der Vergabe war eine formelle Ausschreibung zwingend erforderlich. Es gab drei Bietende.
Zu 4.:
Es wurden Vereine und Verbände aus allen Bezirksregionen eingeladen, sich zu beteiligen. Zudem haben sich viele Einzelpersonen in den Prozess eingebracht. Besonders Initiativen aus den Stadtteilen, Bürgervereine und Träger gemeinwohlorientierter Einrichtungen haben sich für die Workshops angemeldet. Die folgende Zusammenstellung stellt eine Auswahl an involvierten Akteurinnen und Akteuren dar: Bürgervereine (aus fast allen Ortsteilen), Verkehrsclub Deutschland e.V., Kirchen und Kirchenverbände, Kiezklubs, Stephanus gGmbH, Rabenhaus e.V., Vertretungen der BVV, Vertretungen aus Pflegeeinrichtungen, CJD Berlin-Brandenburg, Wohnungsbaugenossenschaften, Mehrgenerationenprojekte (Häuser & Gärten).
Zu 5.:
Die Akteurinnen und Akteure wurden über die Verteiler der SPK eingeladen. In diesem Verteiler sind unter anderem Einrichtungen wie in der Antwort auf Frage 4 genannt. Die Akteurinnen
und Akteure wurden darum gebeten, die Einladung in ihren Kreisen weiterzuleiten. Einladungen sind mindestens zwei Wochen vor der Veranstaltung verschickt worden. Auf den jeweiligen Veranstaltungen wurde zu den Folgeveranstaltungen eingeladen und deren Inhalte kommuniziert.

Zu 6.:
Aus Gründen des Datenschutzes kann das Bezirksamt der Bitte um Aufschlüsselung nicht Folge leisten. Wir gehen davon aus, dass die in der Antwort auf Frage 4 genannten Akteurinnen und Akteure der Darstellung der unterschiedlichen Beteiligten genüge tut.
Zu 7.:
Das Bezirksamt möchte bezirkliche Vorhaben qualitativ verbessern und gleichzeitig dem Mitsprache- und Mitgestaltungswillen der Bürgerinnen und Bürger Möglichkeiten und Rahmen geben. Eine rechtliche Anspruchshaltung ist daraus nicht abzuleiten. Dennoch strebt das Bezirksamt an, wiederkehrende und verbindliche Verfahren zu entwickeln mit denen Verwaltung sowie Bürgerinnen und Bürger zusammenarbeiten können.
Zu 8.:
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden derzeit durch die SPK und die Anlaufstelle für Bürgerbeteiligung beraten und geschult. Zumeist geschieht dies derzeit vorhabenbezogen. Zudem sind Arbeitsabläufe eingeführt worden, damit die Bürgerinnen und Bürger frühzeitig
und transparent über bezirkliche Vorhaben informiert werden. Dies geschieht aktuell über die sogenannte bezirkliche Vorhabenliste. An der Erstellung dieser Liste wirken die Fachämter mit und es wird jeweils vorhabenbezogen ein Rahmen von Beteiligungsmöglichkeiten definiert.
Zu 9.:
Die Evaluation hat ergeben, dass für die Umsetzung der Leitlinien zunächst Informations- und Kommunikationskanäle geschaffen und verbessert werden müssen. Dies erarbeitet die Anlaufstelle für Bürgerbeteiligung derzeit im Austausch mit den Fachämtern des Bezirks.
Zu 10.:
Unter anlaufstelle-bürgerbeteiligung.de findet sich ein Formular mit dem eine Anregung von Beteiligung beantragt werden kann. Generell soll die Anlaufstelle für Bürgerbeteiligung kontaktiert werden, wenn Bürgerinnen und Bürger die Einhaltung der Leitlinien nicht gewährleistet sehen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Anlaufstelle tragen die Punkte dann in die zuständigen Fachämter und fordern eine Stellungnahme dazu ein.
Zu 11.:
Die informelle Beteiligung hat im Vergleich zu anderen Formen der Teilhabe (zum Beispiel Wahlen) die Möglichkeit, Menschen, die kein Wahlrecht innehaben, dennoch an bezirklichen Vorhaben in ihrem Lebens- oder Arbeitsumfeld zu beteiligen. Die Stadtgesellschaft involviert
auch Gruppen abseits der Mehrheitsgesellschaft. Es ist zudem das Ziel, Menschen, die nicht an Wahlen oder anderen Formen der Teilhabe partizipieren, abzuholen und ihre Sicht der Dinge in Planungs- und Meinungsbildungsprozesse einzubeziehen, wenn sich diese Menschen beteiligen wollen. Der Begrifft „Stadtgesellschaft“ wird verwendet, um aufzuzeigen, dass die Menschen im Bezirk eine sich stets wandelnde, interkulturelle und hybride Gesellschaft und Gemeinschaft bilden.
Zu 12.:
Eine Erfahrung des Leitlinienprozesses ist es, dass Bürgerinnen und Bürger unzufriedenstellende Erfahrungen in der Kommunikation mit dem Bezirksamt gemacht haben und sich unehrlich behandelt gefühlt haben. Wenngleich dies wohl eine Auffassung ist, die in der Bevölkerung häufig gegenüber verschiedenen Einheiten und Ebenen der Verwaltung besteht, stellt sich das Bezirksamt dem und will eine andere Wirkung erzeugen. Ein Ziel der Leitlinien ist es daher, eine höhere Transparenz zu schaffen, um subjektive Empfindungen möglichst sachlich aufnehmen und bewerten zu können.
Zu 13.:
In Voruntersuchungen des Bezirksamts zu bezirklichen Vorhaben werden die Daten zum Großteil quantitativ erhoben. Aus Sicht sozialräumlicher Planung sollen diese Daten durch qualitative Befragungen und Beteiligungen ergänzt werden, um die Qualität der Vorhaben
zielgruppenorientierter zu erhöhen.
Zu 14.:
Der Begriff „Kulturkreis“ wird nicht verwendet. Vielmehr wird darauf hingewiesen, dass Treptow-Köpenick ein heterogener Bezirk mit verschiedenen sozialen und kulturellen Hintergründen ist. Interkulturelle Ansätze werden eingefordert. Darunter lassen sich mehrsprachige Information und Kommunikation genauso verstehen, wie verschiedene Methoden der Vermittlung und Mediation. Sprache, Kultur und Herkunft sind in diesem Sinne kein Ausschlusskriterium der Teilhabe. Diese Formulierungen sollen nicht suggerieren, dass die jeweiligen kulturellen Hintergründe eines Menschen mehr oder weniger dazu befähigen sich zu beteiligen.
Ferner geht der Begriff des Kulturkreises in seiner epistemologischen Bedeutung von konkurrierenden Kulturen aus. Der interkulturelle Ansatz, zudem auch der hier verwendete Begriff der „Stadtgesellschaft“ gezählt werden kann, geht davon aus, dass Kultur etwas sich stets Wandelndes und neu zu Verhandelndes ist. Dies erscheint dem Bezirksamt auf Grundlage der lokalen, bezirklichen Vorhaben und seiner jeweiligen Kontextualisierung als die geeignetere Erkenntnis- und Umgangsweise.
Zu 15.:
Nein. Das Bezirksamt möchte im Bedarfsfall auf Mehrsprachigkeit zurückgreifen, um Informationen übermitteln zu können.
Zu 16.:
In die Erstellung der Leitlinien war der Bezirksbeauftragte für Menschen mit Behinderung mit einbezogen und der Prozess wurde seiner Qualitätsprüfung unterzogen. Es gab bei allen Veranstaltungen unter anderem die Möglichkeit den Bedarf von Gebärdendolmetscherinnen
bzw. Gebärdendolmetschern zu beantragen. Dies war nicht erforderlich. Die veröffentlichten Leitlinien sind barrierearm gestaltet.
Zu 17.:
s.o., Antwort auf Frage 16.
Zu 18.:
Der Beirat war über die Kommunikationskanäle des Bezirksamts eingeladen, am Leitlinienprozess teilzunehmen. Einzelne Akteurinnen und Akteure haben an einigen Veranstaltungen teilgenommen.
Zu 19.:
Nach den bezirklichen Leitlinien für Bürgerbeteiligung werden private Bauherrenschaften von Vorhaben motiviert, die Leitlinien anzuwenden. Dies ist angelehnt an die Hinweispflicht der Behörde gemäß § 25 Absatz 3 VwVfG.
Gemäß § 25 VwVfG wirkt die Behörde, hier das Bezirksamt, darauf hin, dass Träger bei der Planung im Gesetz definierter Vorhaben eine frühe Öffentlichkeitsbeteiligung durchführen. Eine Form der Hinwirkung ist rechtlich nicht vorgeschrieben.
In entsprechenden Fällen weist das Bezirksamt – sofern nötig auch mit Nachdruck – auf verschiedene Möglichkeiten der Öffentlichkeitsbeteiligung hin, bietet Unterstützung bei der Durchführung, legt die Durchführung der Öffentlichkeitsbeteiligung falls erforderlich auch wiederholt nahe und hält gegebenenfalls wiederholt Rücksprache mit der Vorhabenträgerin oder dem Vorhabenträger. Das Bezirksamt steht motivierend, beratend und unterstützend zur Seite, um die Anwendung der Leitlinien für Bürgerbeteiligung auch bei Projekten Privater zu fördern.
Dabei hat das Bezirksamt zu respektieren, dass die letztendliche Entscheidung über die öffentliche Beteiligung bei der Vorhabenträgerin oder dem Vorhabenträger verbleibt.
Zu 20.:
Das Bezirksamt legt den Begriff der „nicht unwesentlichen Auswirklungen“ entsprechend der juristischen Auslegung aus § 25 Absatz 3 VwVfG aus.
Nicht nur unwesentliche Auswirkungen hat ein Vorhaben insbesondere, wenn es raumbedeutsam ist, es also eine Veränderung der Gestaltung und/ oder der Nutzung des jeweiligen Raumes widerspiegelt. In der Regel handelt es sich hier um Vorhaben mit Auswirklungen, die über das unmittelbare räumliche Umfeld hinausgehen. Ob „nicht unwesentliche Auswirkungen“ in diesem Sinne vorliegen, ist stets durch eine Abwägungsentscheidung der Behörde im Einzelfall festzustellen.
Zu 21.:
Bei dem Begriff „größere Zahl von Dritten“ wird der Behörde ein Entscheidungsspielraum vermittelt. Es ist eine Einzelfallentscheidung durch die Behörde zu treffen. Dabei wird unter anderem darauf abgestellt, in welcher Form und wie intensiv die Betroffenheit mehrerer Menschen vorliegt.
Zu 22.:
Projekte mit hohem Symbolcharakter für den Bezirk sind Vorhaben, die eine Wirkung für den Bezirk entfalten, der über das durchschnittliche Maß hinausgeht oder die Wirkung über ihr unmittelbares Umfeld hinaus haben werden oder die aufgrund ihrer Bedeutung, ihrem Erscheinungsbild oder ihrer Relevanz für den Bezirk von herausragender Bedeutung sind.
Ob ein Projekt einen solchen Symbolcharakter hat, ist im Einzelfall und unter Abwägung mannigfaltiger Faktoren zu entscheiden.

Gernot Klemm
Stellv. Bezirksbürgermeister